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Umziehen oder bleiben ?

Nachdem die Erkrankung sicher diagnostiziert war und wir uns eine Zeitlang damit beschäftigten wie es mit mir weitergeht, kamen wir an den Punkt "Behindertengerechte Wohnung".

Natürlich stellte sich die Frage da meine Defizite ständig mehr wurden und leider auch nicht mehr groß zurückgingen.

Also schauten wir uns in unserer näheren Umgebung Barrierefreie Wohnungen an. Relativ schnell fanden wir auch eine sehr gut geeignete und fingen an mit der Vermietung in Verhandlungen zu treten. Die erste Hürde war ein WBS (Wohnberechtigungsschein) den wir beantragen mussten um die Wohnung zu beziehen.

Der Antrag wurde natürlich abgelehnt obwohl ich meinen Gesundheitszustand eindeutig dokumentierte und um ein Einzelfallentscheidung bat.

Nun gut am Ende war es der Baugesellschaft dann doch egal und wir bekamen die Zusage für die Wohnung.

Jetzt kamen erste Zweifel bei uns auf.

Umzug und dann?

Zur Zeit wohnen wir sehr idyllisch und von Nachbarn umgeben die mit uns sehr freundschaftlich umgehen. Jede Hilfe die ich benötige wird jederzeit gewährt, sei es ein Einkauf oder sonstige Hilfe die halt so anfällt. In der neuen Wohnung würden wir das nicht mehr haben und dramatischer wir würden aus einer Einfamilienhaussiedlung in einen Wohnblock ziehen mit entsprechendem Umfeld.

Die Zweifel wurden stärker, dennoch sprach einiges für die neue Wohnung, große Räume, Fahrstuhl, Behindertengerechter Eingang, etc. Dann nahm das Schicksal Einfluss auf unsere Entscheidung, wie es halt manchmal so ist, launisch und unvorhersehbar.

Am Tag vor Ablauf unserer Kündigungsfrist für die alte Wohnung versuchte ich fast verzweifelt jemanden in der Baugesellschaft zu erreichen um die neue Wohnung anzumieten. Es war von morgens um acht Uhr bis Nachmittags dort Niemand zu sprechen der eine Entscheidung treffen konnte, nur ein paar andere Mitarbeiter, die aber nicht zuständig waren. Puh was für ein Laden.

Am Abend des selben Tages habe ich meine Kündigung zerrissen und wir haben die Entscheidung getroffen in unserer Wohnung zu bleiben.

 

Reaktionen oder warum mir dann warm ums Herz wurde.

Am nächsten Tag haben wir den Entschluß zu bleiben unseren Nachbarn und dem Vermieter mitgeteilt.

Abends klingelte es dann bei uns und meine Nachbarin stand mit Sekt in der Hand vor der Tür um es zu feiern, das wir bleiben.

Mein Vermieter sagte auf die Entscheidung hin, na ja ich hätte die Wohnung eh nicht mehr weitervermietet, Ihr wäret sicher bald zurückgekommen, das ganze mit einem Lachen und auch dem Ausdruck der Freude.

Zusammengefasst ist es so, das diese Art von Harmonie und Freundschaft mir unter dem Strich mehr bei meiner Erkrankung hilft als eine große Wohnung mit Fahrstuhl.

 

Berg-  und Talfahrten: oder wie das Leben mit Defiziten so abläuft.

Je länger ich mit der Erkrankung lebe, um so mehr lerne ich

aus meinen Defiziten. Zwar verstehe ich nicht alle

Zusammenhänge aber ich versuche es zu lernen.

 

Die Umschreibung unserer Krankheit als die mit den 1000

Gesichtern in dem Sprachgebrauch ist mehr als zutreffend.

 

Lasst mich am Anfang beginnen. Nach der Diagnose im Jahr

2012 bekam ich die volle Wucht von Schüben zu spüren.

Innerhalb von kurzer Zeit kamen Gangunsicherheit,

Doppelbilder, Ataxien, Tremor, Focusverlust und Inkontinenz,

sowie Verlust der Libido.

 

Nachdenklich machte mich, das die Defizite erst nach der

Diagnose so vielschichtig auftraten. Eine erste Erklärung

dafür war "selektive Wahrnehmung" und ja natürlich wird es

einige Defizite schon vorher gegeben haben, nur habe ich

diese nicht erkannt und so wie viele andere auch einfach

diese ignoriert. Wie oft hat man Kopfschmerzen oder

Focusverlust und denkt dabei an Erschöpfung und

Überarbeitung. Nach der Diagnose habe ich natürlich

angefangen besser auf Signale zu achten und damit wurden

mir die Defizite natürlich bewusster.

 

Aber lasst mich berichten.

 

Sicher bin ich nicht aber ich glaube das war ein klassischer

Verlauf bei mir. In den ersten Monaten nach Beginn der

Kopfschmerzen waren diese so dominant das ich kaum auf

andere Ausfälle achten konnte, dann wurden die Schmerzen

besser Therapiert, zuerst mit Gabapentin dann mit Lyrica

(die nehme ich immer noch, wenn auch höher dosiert) und

schließlich mit Cannabis (Sativex). Zeitgleich verstärkten sich

aber andere Defizite massiv, es ist nicht so cool wenn man

ständig am stolpern ist weil sich die Füße und Beine anders

verhalten als sie es sollten, dazu kamen massive Doppelbilder

(auch heute sehe ich alles im Bereich bis ca. 1m doppelt) und

dann Inkontinenz, ich dachte der Tiefpunkt wäre erreicht als

ich bemerkte das ich nicht mehr der Gebieter über meine

Blase war. Weit gefehlt das war ein kurzes Intermezzo und

mit einem Besuch beim Urologen und 14 Tage Tabletten war

das vom Hof. Was blieb waren Libidoverlust,

Gangunsicherheit, extreme Müdigkeit, Focusverlust sowie

Doppelbilder und immer wieder mal Schmerzatacken.

 

Dank der Basistherapie mit Rebif 44 kam es nach den beiden

ersten massiven Schüben nicht erneut zu einem großen

Schub, vielmehr ist es jetzt so dass ich einige kleinere Schübe

hatte und habe und diese einfach aussitzen kann. Ein paar

Tage in denen ich mich komplett zurücknehme und viel

ausruhe, reichen meistens aus. Was mir viel hilft ist meine

Dauerverordnung der Physiotherapie, auch an schlechten

Tagen nehme ich das war um meine Muskeln(soweit noch

da) zu entspannen und zu dehnen.

 

Leider bilden sich nicht wie am Anfang alle Defizite zurück

und die Ausmaße der Erkrankung werden erst nach und

nach sichtbar.

 

Doch man lernt damit umzugehen und sich einzurichten,

wirklich blöde ist es, das man eigentlich nichts planen kann,

da die MS zuschlägt wann immer sie will.